N E W S L E T T E R

Maxime Matthys
2091 - The Ministry of Privacy

Für die Unterdrückung muslimischer Minderheiten in der Provinz Xinjiang nutzt die chinesische Regierung auch moderne Überwachungstechnologien wie Gesichtserkennung. Ein Datenleck brachte 2019 ans Licht, dass die chinesische Firma SenseNets 2,5 Millionen Menschen mit 6,7 Millionen Trackern überwacht haben soll. „2091 – The Ministry of Privacy“ untersucht die Mechanismen dieser Gesichtserkennungstechnologien. Kaschgar ist eine der letzten Bastionen uigurischer Kultur in Xinjiang. Hier hat Maxime Matthys das Alltagsleben der Menschen fotografiert und die Bilder dann in eine Gesichtserkennungssoftware hochgeladen, die er mit dem französischen IT-Ingenieur William Attache entwickelt hat. Die biometrischen Daten erscheinen auf den Fotos, dokumentieren die Gefährlichkeit dieser unsichtbaren Technologie und lassen die Grenze zwischen Realität und Virtualität verschwimmen.

  • China
  • Digitalisierung
  • Überwachung

»Ich denke, das ist mein Ansatz: Mitten in der zeitgenössischen Kunst ohne meinen dokumentarisch-fotografischen Hintergrund zu vergessen.«

Maxime Matthys
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Der visuelle Künstler Maxime Matthys spricht über seine Arbeit Ministry of Privacy (mit englischen Untertiteln).

3 Fragen
1. Der Türöffner: Kannst du einen prägenden Moment in deiner Karriere als Bildjournalist beschreiben?

Der prägendste Moment meiner Laufbahn war, als ich zum zweiten Mal nach Xinjiang, in den äußersten Westen Chinas, reiste, um zu dokumentieren, wie die chinesische Regierung Technologie zum Zweck der Massenüberwachung nutzt. Ich wollte die Gesichtserkennung thematisieren, die unsichtbar ist, und die Fotografie als ein Medium nutzen, das sich hauptsächlich auf das Sichtbare verlässt. Dieses Projekt in Xinjiang brachte meine Überlegungen über Kunst und Dokumentarfotografie auf den Punkt. Jetzt, nachdem ich das Projekt erfolgreich abgeschlossen habe, kann ich sagen, dass es für mich wesentlich war, aus der traditionellen Dokumentarfotografie herauszutreten. Außerdem schien es mir immer interessanter, dem Betrachter oder der Betrachterin zu ermöglichen, das Betrachtete mit Sinn zu füllen.

2. Der entscheidende Moment: Wann ist dir dein Thema das erste Mal begegnet und wieso hast du dich dazu entschieden, es fotografisch zu bearbeiten?

Zum ersten Mal habe ich von der Massenüberwachung in China gehört, als die amerikanische Presse begann, über das Social Scoring zu berichten. Ich bin für einen Monat nach Beijing und Shanghai gereist, um mit der Arbeit an dem Projekt zu beginnen. Ich kehrte mit traditionellen Bildern von Überwachungskameras, chinesischen Soldat*innen, beobachteten Menschen zurück – nicht sonderlich interessant. Zurück in Frankreich hörte ich davon, was die chinesische Regierung ethnischen Minderheiten wie den Uigur*innen und den Kasach*innen in der Region Xinjiang antut. Ich fand es unglaublich, dass dort Zustände herrschten, die fast so düster waren wie das, was wir während des Zweiten Weltkriegs erlebt haben. Wenn ich in ein Land reise, das ich nicht kenne, mit meinem persönlichen Hintergrund, meiner Hautfarbe und der westlichen Perspektive, ist es mir außerdem wichtig, dass mein Ansatz eine Bedeutung hat. Wenn ein chinesischer Fotograf oder eine chinesische Fotografin dieses Projekt besser bearbeiten kann, dann werde ich es nicht tun. China ist das schlimmste Land im Hinblick auf die Pressefreiheit. Ich wurde sieben Mal aufgehalten, und um es ehrlich zu sagen, eine chinesische Fotografin oder ein chinesischer Fotograf wäre wohl schon nach der zweiten Festnahme verschwunden. Also ist es für eine chinesische Fotografin oder einen chinesischen Fotografen unmöglich, daran zu arbeiten. Ich nehme an, das bedeutet für mich, dass es legitim ist, zu zeigen, was dort passiert.

3. Die Zukunft: Wie kann der visuelle Journalismus der Zukunft aussehen?

Der Bildjournalismus der Zukunft sollte sich aus der kleinen, sich selbst erhaltenden Fotojournalismus-Sozialblase befreien, in der es wenig Platz für echte Kritik und Selbstreflexion über die Praxis gibt. Ich denke, es ist für Fotograf*innen wesentlich, offen zu sein und zu lernen und auf andere Dinge zu schauen als den altgedienten Fotojournalismus. Ich empfehle sehr, etwas über Soziologie und Philosophie zu lesen, aber auch aus der Kunstgeschichte zu lernen und sich Künstler*innen anzuschauen, die andere Medien benutzen. Das wäre sicherlich eine Möglichkeit, der Misere zu entkommen, auf der ein großer Teil der Fotojournalismusbranche basiert.

Beitrag zusammengestellt von Jonas Dengler & Kai Ivo Nolda

© für alle Fotos die Fotografinnen und Fotografen
© für alle Videos Lumix Festival Hannover, wenn nicht anders angegeben.

*1995 in Brüssel, Belgien
Maxime Matthys verbindet Fotografie, Performance, Video und Installation. Seine Arbeiten behandeln die Frage, wie Technologie unseren Alltag beeinflusst und unsere Realitätswahrnehmung formt. Neben diesen persönlichen Projekten dokumentiert er aktuelles Zeitgeschehen. Er studierte Journalismus und Fotografie in Toulouse und Paris. Seine Arbeiten wurden international ausgestellt, prämiert und publiziert.

www.maximematthys.com
@matth.ys

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