New Perspectives
Iris Sikking New Perspectives on Documentary Practices
Das Lumix Festival will die Diskussion über die Zukunft visueller Erzählweisen im Journalismus anregen, geleitet von den folgenden Fragestellungen: Welche Potenziale birgt ein innovativer Fotojournalismus in der aktuellen Medienlandschaft, die sich in einem so dramatischen Wandel befindet? Mit welchen Erwartungen und Bedingungen sehen sich professionelle Fotograf*innen, die im Journalismus tätig sind, konfrontiert? Wie gehen Fotograf*innen mit der Bilderflut im gemeinsamen virtuellen Raum um?
Um diesen Fragen nachzugehen, präsentiere ich 12 Projekte von 13 Fotograf*innen, die bestimmte Ansätze für ihre Themen nutzen, die charakteristisch für ihre Bildsprache und die Präsentationsformaten sind. Deswegen habe ich vier Strategien unterschieden, bei denen wir aber auch Überschneidungen finden können: die investigative Strategie, die aktivistische Strategie, die partizipative Strategie und die digitale Strategie.
Mithilfe dieser vier Strategien hoffe ich, einen nützlichen Einblick in den Umgang dieser Fotograf*innen mit der Produktion, der Konzeption und der Verbreitung ihrer Inhalte zu geben. Ich meine, dass all diese Strategien in den weiten Bereich der Dokumentarfotografie fallen; die ausgewählten Künstler*innen hinterfragen jedoch durch den Einsatz einer bestimmten Strategie den dokumentarischen Begriff von Wahrhaftigkeit, der in diesem Bereich unerbittlich eingraviert zu sein scheint. Die meisten Künstler*innen sind gelernte Fotojournalist*innen, sind aber während ihrer Laufbahn immer wieder auf die Unzulänglichkeiten der Praxis gestoßen.
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Die Kriterien für diese Unterteilungen basieren auf folgenden drängenden Fragen, mit denen der Fotojournalismus zu kämpfen hat: Welches sind mögliche narrative Ansätze, die essenziell sind, um eine Geschichte durch Bilder zu erzählen? Wie kann eine Fotograf*in durch die Welt der fotografischen Medien und Techniken navigieren? Welche Position nimmt die Fotograf*in als Autor*in und Verantwortliche*r in Bezug auf die Personen ein, die vor der Kamera stehen oder über die gesprochen wird? Welche Bildsprachen und Methoden stehen zur Verfügung, um Betrachter*innen zu ermöglichen, Dinge neu zu sehen? Wie kann eine Fotograf*in ein System offenlegen, einen Mechanismus hinter bestimmten Fragen, anstatt nur die Konsequenzen für eine bestimmte Person zu zeigen?
In allen Kategorien führen die Strategien zu Präsentationsformaten und Plattformen, die für traditionelle fotojournalistische Arbeit weniger verbreitet sind, sondern eher mit zeitgenössischer Kunst verwandt sind. Das Spannungsfeld innerhalb dessen, was wir als ästhetischen Journalismus bezeichnen können, eröffnet auch ein Spannungsfeld zwischen Kunst, Journalismus und Dokumentation (Alfredo Cramerotti 2009). Die hier angewandten Strategien könnten auch als zeitgenössische Kunsttechniken definiert werden, die sich um die Untersuchung sozialer, kultureller und politischer Ereignisse drehen; daher nehmen ihre Ergebnisse eher im Kunstkontext Gestalt an, als durch die traditionellen Medienkanäle.
Egal welche Strategie genutzt wird, es ist nicht einfach, mit dokumentarischer Arbeit eine Wirkung zu erzielen. Daher ist es wichtig, sich um ‚freie Räume‘ wie Zeitungen, den öffentlichen Raum und, im Fall einer Ausstellung wie dieser, das Museum als Arenen zu kümmern, die immer noch ein sicheres und glaubwürdiges Umfeld bieten könnten, das offen für Begegnungen und Diskussionen ist. Die Beteiligung des Publikums ist hierbei häufig zentral.
Die professionelle Fotografie nimmt in der kulturellen Kunst immer noch eine isolierte Position ein; Bilder spielen jedoch täglich eine Rolle in unserem Leben, und sie werden nicht mehr nur von einer Kamera erstellt. Ich glaube für den Bildjournalismus ist es wichtig zu erkunden, wie neue Medien und Technologien genutzt werden können, die in unserem täglichen Leben verwurzelt sind. Fotograf*innen müssen ihre Klausur verlassen, um Platz zu schaffen für die Zusammenarbeit mit verwandten Medien und Spezialisten. Projekte können in jedem erdenklichen Kontext erscheinen und so zu einer Vielfalt und erweiterten dokumentarischen Praktiken führen.
Iris Sikking, ausgebildet als Filmredakteurin und Fotohistorikerin, ist unabhängige Kuratorin und lebt in Amsterdam. Als Kuratorin, Dozentin und Autorin positioniert sie sich in den sich überschneidenden Bereichen Fotografie, Film und digitale Kunst. In den vergangenen 15 Jahren hat sie in enger Zusammenarbeit mit Fotografen und visuellen Künstlern Projekte entwickelt, thematische Ausstellungen konzipiert sowie Fotobücher und Online-Projekte veröffentlicht.
Sie ist Mitherausgeberin des Bandes “Why Exhibit? Positions in Exhibiting Photographies” (FW:books), mit dem sie eine Grundlage für einen breiteren Diskurs über Fotografie im 21. Jahrhundert bietet. 2018 war sie Chef-Kuratorin des Krakow Photomonth und erarbeitete das Hauptprogramm “Space of Flows: Framing an Unseen Reality”. Kürzlich kuratierte sie die Ausstellung “Future Talents” für die Unseen Foundation in Zusammenarbeit mit Melkweg Expo, Amsterdam.
Darüber hinaus führt sie Portfolio-Sichtungen durch, ist Mitglied in Wettbewerbsjurys und sitzt derzeit in den beratenden Ausschüssen des Mondriaan Fund und Stroom in Den Haag. Sie unterrichtet für den BA Photography & Film an der Academy of Art and Design St. Joost in Breeda.
Webseite: www.irissikking.nl