N E W S L E T T E R

Angelos Tzortzinis
Contemporary Prisons

Nacht für Nacht fliehen Menschen über das Mittelmeer nach Lesbos, der drittgrößten Insel Griechenlands. Hier liegt Moria, das größte Flüchtlingslager der Welt. Einmal ausgelegt für 3.000 Menschen leben hier mittlerweile fast 13.000. In der früheren Militäranlage sollen die Asylverfahren abgewickelt werden. Doch die Behörden sind mit dem Andrang überfordert. Die Geflüchteten – hauptsächlich aus Syrien, Afghanistan und dem Irak – sitzen seit Jahren in dem überfüllten Camp fest, sind monatelang Kälte, Regen und Krankheiten ausgesetzt. Es fehlt an Nahrungsmitteln und oft auch an Trinkwasser. Verzweiflung, Schmutz und Kriminalität werden hier zum Alltag. Die Helfer*innen geraten an ihre Grenzen. Der griechische Fotograf Angelos Tzortzinis zeigt die Hoffnungslosigkeit der Menschen dort, wo sie sich ein besseres Leben erhofft haben. Und weiterhin kommen jede Nacht Boote, deren Insass*innen in Moria bleiben werden, weil niemand sie in Europa haben will.

  • Flucht
  • Griechenland
  • Migration
3 Fragen

„Dieses ist der dritte Teil meines Langzeitprojektes über Migration. Ich habe während der letzten acht Jahre über diese gesellschaftlichen Herausforderungen gearbeitet. Als Grieche habe ich selbst den beispiellosen und schmerzvollen Wandel dieses Landes und seines Volkes erlebt – entweder als Ergebnis der Wirtschaftskrise oder der sogenannten „Flüchtlingskrise“. Dieser Prozess hat mich zutiefst berührt, schließlich bin ich ein Teil dieses Wandels.

Während der letzten Jahre sind viele neue Lager für Vertriebene entstanden. Die einzige Lösung für mich bestand darin, in diese Lager zu gehen und mit den dort lebenden Menschen in Kontakt zu kommen. Ich bin es gewohnt, mit Menschen in Kontakt zu kommen – sie vertrauen mir wirklich – und auch damit, allgemein verständliche Bilder zu produzieren. Ich habe gelernt, mich abseits zu halten. Wenn ich die Distanz verliere, verliere ich meine Orientierung und schließlich mein Ziel. Am Anfang wurde ich von ihren Geschichten verschlungen. Meine Gefühle haben mich zu stark beeinträchtigt, sodass ich kaum weiterarbeiten konnte. Mit zunehmendem Alter wurde mir klarer, was ‚Nähe‘ für mich bedeutet. Jede Fotograf*in findet ihre eigene Distanz. Ich versuche, in das Innere meiner Protagonisten vorzudringen, während ich mich selbst abseits halte. Seit dem Höhepunkt der „Flüchtlingskrise“ 2016 sind Zehntausende vor Krieg und Armut in ihren Heimatländern geflohen und in Griechenland gestrandet. Heute hat sich die internationale Aufmerksamkeit woanders hin verlagert, und lokale Gemeinschaften haben sich ebenfalls gegen die Vertriebenen gewandt. Neu errichtete Zäune, Flüchtlingsfriedhöfe und viele Siedlungen haben die „natürliche Entwicklung“ der urbanen Landschaften unweigerlich verändert. Es war die größte Vertreibung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg, und es ist eines der wichtigsten Themen unserer Generation – mit vielen nicht erzählten Facetten. Das Gesicht Griechenlands und Europas wird sich in den kommenden Jahren verändern.
Heute leben mehr als 24.000 Menschen – hauptsächlich aus Syrien, Afghanistan und Irak, darunter viele Minderjährige – in dem überfüllten Flüchtlingslager Moria auf der Insel Lesbos, einer früheren griechischen Militärbasis. 2015 war Moria offiziell ein Registrierungszentrum, heute jedoch umfasst es das Vierfache seiner ursprünglichen Kapazität. Darüber hinaus entschied im Februar 2020 die neue konservative Regierung Griechenlands, ein geschlossenes Auffanglager für bis zu 7.000 Personen auf der Insel Samos zu errichten – ein Plan, den die lokalen Behörden und Gemeinden sofort abgelehnt haben.“

1. Der Türöffner: Kannst du einen prägenden Moment in deiner Karriere als Bildjournalist beschreiben?

Im Jahr 2015 kürte mich das Time Magazine zum „Wire Photographer of the Year“, in Anerkennung meiner Fotos, die die beiden historischen Ereignisse dokumentierten, die Griechenland in den letzten zehn Jahren widerfahren sind. Das erste Ereignis, die griechische Wirtschaftskrise, konnte ich über mehrere Jahre fotografieren und dadurch zeigen, wie es sich entwickelte. Ich war kein passiver Beobachter, sondern mittendrin und erfasste die Kämpfe in meinem eigenen Alltag und dem der anderen. Auch das zweite Ereignis, der Höhepunkt der Flüchtlings- und Migrationswelle, die 2015 durch Griechenland miterlebte, war ein Thema, das sehr eng mit meiner persönlichen Erfahrung verknüpft ist.

2. Der entscheidende Moment: Wann bist du das erste Mal auf Dein Thema gestoßen und warum wolltest du es mithilfe der Fotografie behandeln?

Zunächst einmal bin ich ein griechischer Fotograf. Ich selbst habe die beispiellose und leidvolle Transformation des Landes und seiner Menschen miterlebt, sei es als Ergebnis der Wirtschafts- oder der Flüchtlingskrise. Der Prozess hat mich stark betroffen, da ich Teil dieses Wandels bin. Ich erinnere mich an meine Kindheit in einem Armenviertel von Athen, wo Dutzende irakische Geflüchtete sich ebenfalls niedergelassen hatten. Sie lebten unter armseligen Bedingungen in beengten Kellerwohnungen, häufig zu fünft oder sechst in einem Raum. Deshalb habe ich dieses Thema während der vergangenen acht Jahre bearbeitet.

3. Die Zukunft: Wie könnte der Bildjournalismus der Zukunft aussehen?

Je umfassender unsere Bildung ist, desto mehr wird sich das in unseren Bildern widerspiegeln. In der Fotografie geht es nicht nur um schönes Licht und einen hübschen Rahmen, sondern um Tiefe und Gefühle. Die Welt braucht Bilder, die weniger grell und dafür empathischer sind. Ich mache mir manchmal Sorgen, dass wir unser Publikum erschöpft haben. Wir sollten uns nicht davon beeinflussen lassen, was Redakteur*innen denken. Es ist ein Kampf, der Wachsamkeit erfordert. Wir können nicht alles allein machen. Wir Künstler*innen brauchen einander, wir brauchen Gemeinschaften.

Found in Research

Social Documentary Network

 

Beitrag zusammengestellt von Tom Zelger

© für alle Fotos die Fotografinnen und Fotografen
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*1984 in Egaleo, Griechenland
Angelos Tzortzinis studierte von 2005 bis 2007 Fotografie an der Leica Academy of Creative Photography in Athen und arbeitet seitdem freiberuflich unter anderem für AFP, TIME Magazine, Le Monde, National Geographic. 2015 wurde er vom TIME Magazine als „Best Wire Photographer“ ausgezeichnet und darüber hinaus vielfach prämiert. Nach 2012 und 2018 ist er 2020 zum dritten Mal mit einer Arbeit auf dem Lumix Festival vertreten.

www.angelos-tzortzinis.com

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