N E W S L E T T E R

Shirin Abedi
May I have this Dance?

In einem langen roten Kleid und mit einer Krone im Haar tanzt die 21-jährige Mojdeh unter dem Jubel eines weiblichen Publikums vor einem roten Vorhang. Zusammen mit Nona, Reyhaneh, Elham und Yasamin gehört sie einer Balletttruppe in Teheran an. Die Frauen sind Teil der iranischen Nachkriegsgeneration, die sich für Selbstbestimmung, Freiheit und Gleichberechtigung einsetzt. Obwohl nach iranischem Gesetz aus sinnlichem Tanz Unmoral und Unzucht resultieren und Tanz 1979 aus der iranischen Öffentlichkeit verbannt wurde, tanzen heute immer mehr Iraner*innen. Doch viele Tanzgruppen leiden unter Repressalien: Bereits genehmigte Stücke werden abgesagt, das Licht während der Vorstellung ausgeschaltet und zu viel öffentliche Aufmerksamkeit kann zur Verhaftung der Künstler*innen führen. Der Tanz steht stellvertretend für den gesellschaftlichen Wandel im Iran, er symbolisiert die Sehnsucht nach westlicher Freiheit und repräsentiert eine Generation, die ihre Zukunft zurückfordert.

  • Empowerment
  • Frauen
  • Iran
  • Repression
  • Sport
3 Fragen
1. Der Türöffner: Kannst du einen prägenden Moment in deiner Karriere als Bildjournalistin beschreiben?

Im Jahr 2015 begann ich zum ersten Mal alleine im Iran zu reisen. Ich war zu Besuch bei Freund*innen in Qazvin und schaute mir tagsüber alleine die Stadt an. Ich ließ mir eine Zisterne in einer Moschee zeigen und mein Guide begann sich mir zu nähern. Ich spürte die Bedrohung, aber war zu gutgläubig, um die Führung sofort zu beenden. Er wurde dreister und erst dann lief ich weg. Als ich wieder draußen war, zitterte ich am ganzen Körper. Mir war so was noch nie passiert. Danach kamen meine Freund*innen und wir gingen mit dem Mann zur Polizei. Letztendlich entschied ich mich gegen eine Anzeige, weil ich das Gefühl hatte, die Strafe würde den Täter im Innern nicht ändern. Die darauffolgenden Tage dachte ich viel darüber nach, ob ich überhaupt noch als Fotojournalistin arbeiten kann. Zu dem Zeitpunkt sah ich nur die Gefahren der Welt und fühlte mich ihnen gegenüber sehr ohnmächtig. Nach drei Tagen kam ich zu dem Entschluss, dass die Geschichte noch sehr positiv ausgegangen war für mich und ich mich davon nicht unterkriegen lassen durfte. Ich beschloss, meine Erfahrungen und Privilegien zu nutzen, um die Geschichten derer zu erzählen, die nicht so viel Gehör finden wie ich. Außerdem trainierte ich mir seitdem an, meine Grenzen klar zu kommunizieren und diese streng zu verteidigen.

2. Der entscheidende Moment: Wann ist dir dein Thema das erste Mal begegnet und wieso hast du dich dazu entschieden, es fotografisch zu bearbeiten?

Als junge Iranerin kenne ich es, nicht tanzen oder laut in der Öffentlichkeit lachen zu dürfen. Allerdings erlebte ich in den letzten Jahren einen langsamen Wandel der gesellschaftlichen Normen im Iran. Dadurch, dass ich die meiste Zeit meines Lebens in Deutschland verbrachte, sah ich sehr viele Arbeiten anderer Fotograf*innen aus dem Iran. Bei einigen Arbeiten über die junge Gesellschaft spürte ich in mir den Wunsch, bei meinen Reisen in den Iran Ähnliches zu erleben wie die Protagonist*innen dieser Geschichten. Ich fühlte mein iranisches Umfeld wenig repräsentiert und wollte eine Arbeit über Menschen machen, die mir ähneln. Im Sommer 2018 sah ich auf Instagram Bilder einer Aufführung mit Tänzerinnen in Teheran. Ich begann mit meiner Recherche und traf im darauffolgenden Winter die Leiterin der Tanzgruppe. Ich habe sehr großen Respekt davor, was die Tänzerinnen meiner Heimat durchsetzen, und fotografierte sie, um ihnen die Bühne zu geben, die ihnen oft verweigert wird.

3. Die Zukunft: Wie kann der visuelle Journalismus der Zukunft aussehen?

Ich erhoffe mir vom visuellen Journalismus der Zukunft Diversität und Fairness. Es wird viele kreative Erzählweisen geben, eine fairere Aufteilung der Aufträge an Frauen und nonbinäre Menschen und mehr lokale Journalist*innen, die ihre Geschichten erzählen.

»Bei der Arbeit war meine größte Hürde ich selbst, weil ich große Ehrfurcht vor der Gruppe hatte und dem Thema.«

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Videointerview mit Shirin Abedi.

»Ich habe ganz lange auch mir antrainiert, ,Neinʻ sagen zu können und meine Grenzen verteidigen zu können, dass es nicht normal ist, dass ich Straßen lang verfolgt werde von irgendeinem Typen.«

Shirin Abedi

Shirin Abedi war die Sicherheit ihrer Protagonistinnen sehr wichtig. Deswegen war sie in ihrer Arbeit sehr transparent und zeigte den Tänzerinnen oft die Bilder direkt nach ihrem Entstehen in der Kamera. © Shirin Abedi

Yasamin schaut sich bei Shirins Besuch in Januar 2020 das erste Dummy des Fotobuchs in einem Café in Teheran an. © Shirin Abedi

Ein Selfie von Reyhaneh und Shirin, während sie auf die Metro gewartet haben. Mittlerweile hat sich eine Freundschaft zwischen den Beiden entwickelt. © Shirin Abedi

»Ich glaube, dass dort wo Menschen sind, die Geschichten auch vorhanden sein könnten.«

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Reyhaneh und Nona tanzen in einem Café während sie auf ihre Bedienung warten. Sie können nicht ausdrucksstärker tanzen, da sie sonst gegen die Hausordnung des Cafés verstoßen, welche sich an die islamischen Richtlinien des Landes halten muss. © Shirin Abedi

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Reyhaneh singt „Soltan-e Ghalbam“ am letzten Abend ihrer Campingreise in den Süden Irans mit ihren Freunden. Sie fühlt sich auf Reisen frei und kann ihre Sorgen für kurze Zeit vergessen. © Shirin Abedi

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Am Ende jedes Unterrichts, haben die Tänzerinnen die Gelegenheit zu improvisieren. Shirin machte diese Einheit am meisten Spaß, weil das Fotografieren sich für sie wie ein Tanz mit den Frauen vor ihrer Kamera anfühlte. © Shirin Abedi

Beitrag zusammengestellt von Judith Gawol

© für alle Fotos die Fotografinnen und Fotografen
© für alle Videos Lumix Festival Hannover, wenn nicht anders angegeben.

*1996 in Teheran, Iran
Shirin Abedi emigrierte im Alter von sieben Jahren nach Deutschland und lebt seitdem ein Leben zwischen zwei Welten. Seit 2014 studiert sie Fotojournalismus und Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover. 2016 ging sie für ein Jahr nach Teheran zurück, um ihr Herkunftsland besser zu verstehen. Für ihre Arbeit „May I have this dance?“ erhielt sie 2019 den BFF-Förderpreis. Im Zentrum ihrer Arbeit stehen Geschichten und Kämpfe von sogenannten „Alltagshelden“.

www.shirinabedi.com

Weitere Fotoserien