N E W S L E T T E R

Franziska Gilli
Bambola

Franziska Gilli hinterfragt mit „Bambola“ (italienisch für „Puppe“) das Frauenbild im italienischen Unterhaltungsfernsehen, das seit den 50er-Jahren und verstärkt seit Silvio Berlusconis Amtszeiten als Ministerpräsident von einer Vielzahl an Showgirls geprägt ist. Freizügige Kostüme, starkes Make-up und schönheitsmedizinische Eingriffe bilden die Grundlage für puppenhafte Stereotypen, an denen sich junge Italienerinnen orientieren. Als allgemeine Bezeichnung für diese weiblichen Figuren ohne tragende inhaltliche Funktion hat sich der Begriff „Velina“ durchgesetzt. Er entstammt der Nachrichten-Satire-Show „Striscia la notizia“, die seit über 30 Jahren ausgestrahlt wird und im Schnitt jeden Abend Einschaltquoten von über 4,5 Millionen erzielt. Die Show ist ein Erfolgsmodell der größten privaten Rundfunkanstalt Mediaset, welche 1987 von Silvio Berlusconi gegründet wurde. Nach einer Karriere als Showgirl steigen manche der Frauen zur (Co-)Moderatorin auf. Auch dann sind sie mit der Herausforderung konfrontiert, Inhalte und den eigenen Körper gleichermaßen zu präsentieren. Ein alternatives Frauenbild gibt es kaum, vor allem nicht zu Hauptsendezeiten.

  • Frauen
  • Künstlichkeit
  • Oberfläche
  • Optimierung
  • Schönheit

Passanten in Mailand antworten auf die Frage “Wie empfinden Sie die Existenz der Veline im Fernsehen?”.

»Tu mi fai girar
Tu mi fai girar
Come fossi una bambola
Poi mi butti giù
Poi mi butti giù
Come fossi una bambola«

Patty Pravo, „La Bambola“, 1968

(Du behandelst mich, als ob ich eine Puppe wär’, dann wirfst du mich weg, als ob ich eine Puppe wär.’)

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Franziska Gilli teilt einige Gedanken und Ideen zu ihrer Arbeit über das Frauenbild in der italienischen Gesellschaft, insbesondere im Fernsehen, und wie es sich auf sie selbst als Frau und Fotografin, die in Italien aufgewachsen ist, bezieht.

»Die Darstellung von Frauen im Fernsehen, unbekleidet, lächerlich gemacht, manipuliert, zum Teil gedemütigt, wird auf institutioneller Ebene immer noch als schlechter Geschmack empfunden und nicht als Beschränkung der individuellen Freiheit von Millionen von Frauen.«

Lorella Zanardo, Aktivistin und Feministin
3 Fragen
1. Der Türöffner: Kannst du einen prägenden Moment in deiner Karriere als Bildjournalistin beschreiben?

Im Jahr 2015 begann ich ein Fotoprojekt über die Welt der Praktikant*innen in und um die EU-Institutionen in Brüssel. Zwei Jahre später kehrte ich für eine Fortsetzung zurück und nahm Kontakt zu aktuellen Praktikant*innen auf. Manche hatten bereits vor Antritt ihrer Zeit in Brüssel Veröffentlichungen der Fotos zusammen mit einer Reportage von Barbara Bachmann gesehen. Es war das erste Mal, dass ich selbst miterleben konnte, wie meine Berichterstattung ihre Rezipient*innen zur Reflexion anregte.

2. Der entscheidende Moment: Wann ist dir dein Thema das erste Mal begegnet und wieso hast du dich dazu entschieden, es fotografisch zu bearbeiten?

Von der Existenz der Veline wusste ich schon lange. Ich bin in Südtirol in einer deutschsprachigen Minderheit in Italien aufgewachsen, als Silvio Berlusconi Ministerpräsident war. Durch meinen anschließenden langjährigen Aufenthalt in Deutschland wurde mir bewusst, wie groß die Kluft zwischen den Geschlechtern in Italien ist. Ich wollte mich dem Thema fotografisch annähern und begann bei der stärksten medialen Kraft des Landes. Die anfängliche Recherche war wie ein Schock. Mir war nicht klar gewesen, wie schlimm es um die Würde von Frauen im italienischen Fernsehen bestellt war.

3. Die Zukunft: Wie kann der visuelle Journalismus der Zukunft aussehen?

Der visuelle Journalismus hat kein inhaltliches oder stilistisches Problem, das zeigen viele gute Arbeiten, die ein immer diverser werdendes Bild von Realitäten zeichnen. Was ihm fehlt, ist eine stabile Finanzierung. Die Experimentierfreude in Bildredaktionen nimmt zu, geht aber oft mit optischen Moden mit. Für die Zukunft wünsche ich mir für den Bildjournalismus mehr Mut zum guten Thema, nicht nur zum guten Bild. Durch die Zusammenarbeit mit schreibenden Kolleg*innen erfahren wir oft, dass unsere Geschichten häufiger durch Textredaktionen als durch Bildredaktionen Einzug ins Heft finden.

Found in Research

„Il Corpo delle donne“
eine Dokumentation über das Frauenbild im italienischen Fernsehen von Lorella Zanardo, 2009, 24 Min.

Das Lied „La Bambola”
von Patty Pravo, 1968.

Beitrag zusammengestellt von Moritz Lehmann

© für alle Fotos die Fotografinnen und Fotografen
© für alle Videos Lumix Festival Hannover, wenn nicht anders angegeben.

*1987 in Bozen, Italien
Franziska Gilli studierte von 2011 bis 2018 Fotojournalismus und Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover und der ENSAV La Cambre in Brüssel. Gillis inhaltlichen Schwerpunkt bilden die Geschichten von Menschen in besonderen sozialen Systemen, so unter anderem bei einem Langzeitprojekt über Praktikant*innen in EU-Institutionen oder einem Buchprojekt über Frauen in der italienischen Gesellschaft. Sie wird vertreten von der Agentur laif.

www.franziskagilli.com
@franziskagilli

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