N E W S L E T T E R

Misha Vallejo
Secret Sarayaku

Für die indigenen Völker Amazoniens – insbesondere für das Volk der Kichwas von Sarayaku – bedeutet der Wald das Leben. Aus dem Kawsak Sacha, dem „lebenden Wald“, schöpfen sie körperliche und geistige Kraft und Gesundheit, dort ist alles miteinander verknüpft. Auch das Leben der Kichwas und ihrer Vorfahren ist verflochten mit Seen, Bäumen und Bergen. Wenn diese Verbindung zerstört wird, stirbt die Seele und stirbt schließlich das Volk. Deshalb kämpfen seit Anfang der 2000er-Jahre 1.200 Kichwas in der ecuadorianischen Gemeinde Sarayaku gegen die Erdölförderung im Regenwald. Die Gemeinde wurde durch ihren bis heute anhaltenden Widerstand weltweit bekannt. Sie installierten Satelliten-Internet und nutzten soziale Medien, um Verbündete zu gewinnen und die Regierung Ecuadors unter Druck zu setzen. Denn auch wenn laut Gesetz dem indigenen Volk das Land gehört, wollen Politiker*innen einen Teil des Kichwa-Territoriums an chinesische Ölfirmen vergeben.

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Secret Sarayaku Trailer. Am Montag, 22. Juni, um 20:00 Uhr wird Misha Vallejo erstmalig die neue interaktive Webseite für sein Projekt „Secret Sarayaku“ auf dem LUMIX-Festival präsentieren. secretsarayaku.net

3 Fragen
1. Der Türöffner: Kannst du einen prägenden Moment in deiner Karriere als Bildjournalist beschreiben?

Ich habe erst relativ „spät“ in meinem Leben begonnen, mich ernsthaft für Fotografie zu interessieren. Als ich 25 wurde, hatte ich zufällig die Gelegenheit, das erste Lumix Festival zu besuchen, da ich an einem Austauschprogramm für Grafikdesign in Deutschland teilnahm. Als ich all diese wunderbaren Geschichten sah und engagierte Vorträge hörte, entstand in mir der Wunsch, Fotokurse zu besuchen. Seitdem habe ich die Ausbildung zum Fotojournalisten an der Fakultät für Journalismus A. Galperin in Sankt Petersburg absolviert und am London College of Communication (University of the Arts, London) mit einem M.A. abgeschlossen. In den letzten acht Jahren habe ich mit Fotografie und Video gearbeitet.

2. Der entscheidende Moment: Wann ist dir dein Thema das erste Mal begegnet und wieso hast du dich dazu entschieden, es fotografisch zu bearbeiten?

Ich hörte von einer Gruppe von Ureinwohner*innen, die 2010 am Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte einen Prozess gegen den Staat Ecuador führte. 2012 haben sie gewonnen (das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Staat ohne ihre Zustimmung in ihr angestammtes Land im Amazonasgebiet eingedrungen war, um Öl zu fördern), und ich wollte sie unbedingt kennenlernen. 2015 erlaubten sie mir schließlich, ihr Territorium zu betreten, und seitdem dokumentiere ich ihren Alltag. Am Anfang wollte ich den synkretistischen Mix von westlicher und traditioneller Kultur mithilfe der Fotografie einfangen. Aber ich erkannte schnell, dass ich auch Video und Audio benötigen würde, um die Reichhaltigkeit ihrer Weltsicht und ihre Philosophie eines Lebens im Einklang mit der Natur einzufangen.

3. Die Zukunft: Wie kann der visuelle Journalismus der Zukunft aussehen?

Ich glaube, dass der Bildjournalismus im Allgemeinen und der Fotojournalismus im Besonderen sich schnell weiterentwickeln müssen. Ich finde es besorgniserregend, dass die immer gleichen Arten von Geschichten und fotografischen Ansätzen die Schlagzeilen der Massenmedien seit den 1970er-Jahren dominieren. Ein Foto von Robert Capa könnte auch heute einen World Press Photo Award gewinnen, wohingegen ein Film aus den 1930er-Jahren heutzutage niemals einen Oscar bekäme. Das ist vielleicht ein etwas grober Vergleich, aber er verdeutlicht, wie die Fotografie in einer romantischen Vergangenheit feststeckt. Es ist essenziell, sich von der Vorstellung zu befreien, dass die Fotograf*innen diejenigen sind, die die Welt entdecken und der Gesellschaft die „Wahrheit“ bringen. Wir müssen uns bewusst machen, dass Fotografie nicht objektiv ist, und das akzeptieren. Ich glaube, dass die Zukunft des Bildjournalismus in einer erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen allen an der Geschichte Beteiligten liegt: Fotograf*innen, Fotografierten, lokalen Reporter*innen, Publikum und Medien. So können wir ein und dieselbe Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten, und die Technologie kann uns helfen, diese neue Art des Storytellings zu implementieren. Es gibt heute viele verfügbare Tools jenseits einer klassischen Fotokamera: VR, Drohnen, Unterwasserkameras, IR-Kameras, Videokameras, Audiorecorder etc. Um die Geschichten zu verbreiten, können wir Apps und Websites nutzen, damit sie alle Sinne ansprechen. Wir können die Möglichkeiten der sozialen Medien nutzen, um Menschen auf diese Geschichten aufmerksam zu machen. Dieses Thema ist ein weites Feld mit viel Diskussionsbedarf. In meinen Augen ist es jedoch unvermeidlich, dass die Fotografie sich wandelt.

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Cristina Gualinga, Einwohnerin von Sarayaku, einer Kichwa-Ortschaft im ecuadorianischen Teil Amazoniens, spricht über die Auswirkungen der Umweltzerstörung auf die spirituellen Kräfte des Regenwaldes. © Misha Vallejo

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Abigail Gualinga, eine junge Einwohnerin von Sarayaku, berichtet von der jüngeren Generation der Kichwa Amazoniens und der Verantwortung für die Zukunft ihrer Kultur. © Misha Vallejo

Beitrag zusammengestellt von Martin Albermann

© für alle Fotos die Fotografinnen und Fotografen
© für alle Videos Lumix Festival Hannover, wenn nicht anders angegeben.

*1985 in Riobamba, Ecuador
Misha Vallejo studierte Fotojournalismus in Sankt Petersburg und beendete 2014 ein Masterstudium in Dokumentarfotografie am London College of Communication. Er arbeitet als Foto- und Videofreelancer für internationale Medien sowie für NGOs in Amerika und Europa. Seine Arbeiten wurden unter anderem veröffentlicht in GEO, VICE, Leica Fotografie International, Photo World China. Neben seiner journalistischen Tätigkeit gibt er Workshops unter anderem zu Fotobüchern und zur Bildsprache.

www.mishavallejo.com
@mishavallejo

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