N E W S L E T T E R

Moritz Küstner
The Silence is the Sound of Fear

Die Halbinsel Krim ist nur durch eine schmale Landzunge mit dem ukrainischen Festland verbunden. Seit der Annexion durch Russland im März 2014 hat sich die wirtschaftliche Lage der Krim erheblich verschlechtert. Die Haupteinnahmequelle, der Tourismus, ist um fast 50 Prozent eingebrochen. Die neue Staatsgrenze schottet die Halbinsel vom Festland ab, was immer wieder zu Versorgungsengpässen der 2,3 Millionen Krimbewohner*innen führt. Auch ist die völkerrechtliche Zugehörigkeit der Halbinsel umstritten. Besonders die muslimischen Krimtataren, die als autochthon gelten, haben unter dem neuen russischen Regime zu leiden. Stalin ließ 1944 das Volk der Krimtataren nach Sibirien deportieren, was fast ein Drittel von ihnen mit dem Leben bezahlte. Erst ab 1988, mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, durften sie wieder in ihre Heimat zurückkehren. Sie gelten als russlandfeindlich und geraten immer wieder ins Visier der russischen Behörden. Zugleich fühlen sie sich so stark mit ihrer Heimat verbunden, dass es für viele schwer vorstellbar ist, sie zu verlassen.

  • Gemeinschaft
  • Heimat
  • Identität
  • Repression
  • Russland
3 Fragen
1. Der Türöffner: Kannst du einen prägenden Moment in deiner Karriere als Bildjournalist beschreiben?

Immer wieder bin ich fasziniert, wenn mich Menschen ganz nah an sich heran und in ihr Leben blicken lassen. Zum allerersten Mal war dies der Fall, als ich 2012 in Estland eine Geschichte über Rita gemacht habe, eine dreifache Mutter, die heroinabhängig und HIV-positiv ist, wie im europäischen Vergleich sehr viele Est*innen ihrer Generation. Rita fasste Vertrauen zu mir, erzählte mir ihre Geschichte und ließ mich ihr Leben fotografisch begleiten. Diese Momente, in denen ich – oft unerwartet – Zugang zu mir fremden Welten bekomme, sind große Bereicherungen für mich und einer meiner Antriebe als Bildjournalist.

2. Der entscheidende Moment: Wann ist dir dein Thema das erste Mal begegnet und wieso hast du dich dazu entschieden, es fotografisch zu bearbeiten?

Die Krim stand ja 2014 stark im Fokus der Öffentlichkeit, als die russische Machtübernahme stattfand. Ich habe die politischen Bewegungen erschrocken und fasziniert verfolgt und zu dieser Zeit begonnen, mich für die Krimtatar*innen zu interessieren, die älteste dort lebende Volksgruppe. Als ich auf der Suche nach einem Thema für meinen Abschluss an der Hochschule Hannover war, flachte das Medieninteresse für die Krim gerade ab. Ich wollte herausfinden, wie es weiterging für die Krimtatar*innen, die vorher so viel Hoffnung in die Intervention der Europäischen Union und damit auch in die Berichterstattung der westlichen Medien gesetzt hatten.

3. Die Zukunft: Wie kann der visuelle Journalismus der Zukunft aussehen?

Ich denke, dass der visuelle Journalismus in der Zukunft viel diverser werden muss, um uns neue Sichtweisen fernab von unserer Realität oder Blase aufzeigen zu können. Damit Journalismus uns nicht nur Antworten liefert auf die Muster, die wir schon kennen, müssen auch die Bilder von Fotograf*innen gesehen werden, die eine andere Herkunft, Geschlechtsidentität und ethnische Zugehörigkeit haben oder aus anderen sozialen Schichten stammen als wir selbst. Nur so können Fragen in uns geweckt werden, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Bilder können nie die Welt erklären, aber sie helfen uns, Zugang zu Themen zu gewinnen und uns neue Betrachtungsebenen zu erschließen.

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Der Fotograf Moritz Küstner spricht über sein Langzeitprojekt The Silence is the Sound of Fear.

»Ich habe gemerkt, wie sich die Krimtataren und ihre Kultur verändert haben.«

Moritz Küstner 

Beitrag zusammengestellt von David Oswald

© für alle Fotos die Fotografinnen und Fotografen
© für alle Videos Lumix Festival Hannover, wenn nicht anders angegeben.

*1989 in Erfurt, Deutschland
Moritz Küstner studierte bis 2015 Fotojournalismus und Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover und der Danish School of Media and Journalism in Aarhus. Als freier Fotojournalist arbeitet er unter anderem für CNN, Stern, Süddeutsche Magazin, DIE ZEIT. Mithilfe des Grenzgänger-Stipendiums der Robert Bosch Stiftung erarbeitete er die Fotoreportage über das Leben der Krimtataren.

www.moritz-kuestner.de
@mo_kuestner

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