N E W S L E T T E R

Sina Niemeyer
Für Mich

„Du hast mir beigebracht, wie es ist, ein Schmetterling zu sein, nur damit du gleich darauf meine Flügel brechen konntest“, schreibt Sina Niemeyer in ihr Tagebuch. Sie kombiniert verschiedene künstlerische Techniken, fotografiert Fundstücke, Orte und sich selbst, zerstört und überklebt Bilder. Sie erzählt so in Bildern und Texten autobiografisch, wie sie in ihrer Kindheit sexuell missbraucht wurde. Es ist eine selbstreflektierende Offenbarung und ein Versuch, die eigene Identifikation zu verorten. Sie zeigt den Betrachtenden auf verschiedenen Ebenen, was ein sexueller Missbrauch für das Leben eines Menschen bedeuten kann, indem sie vage und subtile Emotionen visualisiert, die oft nur schwer mit Worten zu beschreiben sind. Statistisch betrachtet, ist jede dritte bis fünfte Frau in ihrem Leben von sexuellem Missbrauch betroffen. Dieses Projekt erinnert Betroffene daran, dass sie nicht allein sind, und soll sie ermutigen, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen, um heilen zu können.

  • Einsamkeit
  • Empowerment
  • Erinnerung
  • Familie
  • Missbrauch
  • Personal Story

»Du machtest mich zu einem Schmetterling, nur um gleich darauf meine Flügel zerbrechen zu können.«

Sina Niemeyer
Buch-PDF
Das Fotobuch ist ein weiterer Teil des Gesamtwerkes und zeigt einen vertieften Einblick in ihre Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch. Hier gibt es eine kleine Vorschau.
3 Fragen
1. Der Türöffner: Kannst du einen prägenden Moment in deiner Karriere als Bildjournalistin beschreiben?

Als ich eine Reportage über die Mutter einer Freundin machte, die seit vielen Jahren mit multipler Sklerose lebt. Wir waren zusammen im Urlaub und teilten uns ein Zimmer in einer Jugendherberge. Zu dem Zeitpunkt saß Konny, die Mutter, bereits im Rollstuhl und ihre Sprache und Motorik waren stark eingeschränkt. Als meine Freundin ihrer Mutter frühmorgens beim Waschen half, begann ich vom Bett aus, sie zu fotografieren, und fragte sie, ob es in Ordnung sei. Sie sagte: „Ja, klar.“ Am Abend desselben Tages – abends, im Bett, konnte Konny immer viel besser sprechen – erzählte sie mir, dass sie sich eigentlich unwohl fühle, dass durch ihre Krankheit auf einmal so viele Menschen sie nackt sähen, aber dass es ihr ja mittlerweile nur egal sein könne, so viele verschiedene Pflegekräfte hätten sie schon sauber gemacht. Da entschied ich, dass ich die Bilder auf keinen Fall verwenden will. Es war ein weiterer Beleg für mich, wie schwierig es ist, darüber zu entscheiden, das Leid anderer Menschen zu zeigen – eine immanente Kritik, die ich am klassischen Fotojournalismus hege.

2. Der entscheidende Moment: Wann ist dir dein Thema das erste Mal begegnet und wieso hast du dich dazu entschieden, es fotografisch zu bearbeiten?

Das Thema meiner eigenen Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch in der Kindheit hat mich mein halbes Leben lang begleitet. Lange bevor ich überhaupt Fotografie studierte oder mich richtig mit diesem Trauma auseinandergesetzt habe, hatte ich bereits das Gefühl, darüber irgendwann einmal öffentlich sprechen zu wollen. Während Gesprächstherapien merkte ich, dass mir die Form der Aufarbeitung nicht reicht. Es waren dann mehrere Zufälle und Arbeiten von zum Beispiel Laia Abril, Mafalda Rakos und Arzu Sandal, die mir zeigten, wie es möglich sein kann, so ein Thema fotografisch-künstlerisch aufzuarbeiten.

3. Die Zukunft: Wie kann der visuelle Journalismus der Zukunft aussehen?

Ich denke, dass Journalismus allgemein – visueller und schreibender – noch viel diverser und interdisziplinärer wird. Diese Entwicklung lässt sich bereits seit ein paar Jahren beobachten. Klassische Formen werden hinterfragt und bewusst gebrochen, verschiedene Disziplinen kombiniert, es ist Mut da, auszuprobieren. Durch die vielfältigen Präsentationsmöglichkeiten, die wir haben (online, Bücher, Magazine, öffentlicher Raum) ergeben sich eine Vielzahl an Möglichkeiten, Projekte zu zeigen und immer wieder an die Umgebung und die Rezipierenden anzupassen. Durch soziale Netzwerke ist eine Kultur des Individualismus verstärkt worden, das persönliche und subjektive Erleben steht im Vordergrund, weshalb häufig Einzelschicksale als Stellvertreter für ein gesamtgesellschaftliches Problem stärker wahrgenommen werden als allumfassende Reportagen, die faktisch ein Problem mit allen Aspekten beleuchten. Ich persönlich bin ein großer Fan von Kollaborationen und glaube, dass sich in Zukunft viel öfter unterschiedliche Kunstformen verzahnen werden, um Geschichten zu erzählen. Oft ist eine visuelle Sprache nicht ausreichend, manche Dinge lassen sich besser in Illustrationen oder Texten erzählen, andere mit Video, Malerei oder gar Skulpturen. Visueller Journalismus schließt nichts davon für mich aus.

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Die Fotografin Sina Niemeyer spricht über ihre Arbeitsweise und erklärt, wie ihr Projekt „Für Mich.“ ihre Karriere beeinflusste.

Found in Research

Das Erste
Missbrauch und die Folgen, Fernsehbeitrag über Sina Niemeyers Projekt “Für Mich.”, 04.08.2019, verfügbar bis 04.08.2020.

„Für Mich“ – Buchverkauf über Ceiba Editions.

Ceiba Editions – Portrait

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Better Photography

Bird in Flight

Beitrag zusammengestellt von Magdalena Vidovic

© für alle Fotos die Fotografinnen und Fotografen
© für alle Videos Lumix Festival Hannover, wenn nicht anders angegeben.

*1991 in Deutschland
Sina Niemeyer studierte Fotojournalismus und Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover und der Danish School of Media in Journalism in Aarhus. Ihre Arbeiten thematisieren Intimität, zwischenmenschliche Beziehungen und Feminismus. Mit ihrer Abschlussarbeit „Für mich.“ gewann sie den Nachwuchspreis „gute aussichten“ sowie den „follow up grant“ und wurde international ausgestellt. Niemeyer arbeitet für verschiedene deutsche Magazine und lebt aktuell in Berlin.

www.sinaniemeyer.com
@sinaolsson

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