N E W S L E T T E R

Yufan Lu
Make Me Beautiful

Weil sie selbst entscheiden möchten, wie ihr Gesicht aussieht, lassen sich jedes Jahr über 10 Millionen Menschen in China aus kosmetischen Gründen operieren. Yufan Lu versucht, mit dieser Geschichte die Mechanismen hinter diesem Wunsch nachzuvollziehen. Sie besucht verschiedene Schönheitschirurgen, um einen Operationsplan für ihr eigenes Gesicht zu erhalten. Nachdem ihre „Schönheitsmängel“ aufgezeichnet wurden, kann sie sich aus den beliebtesten Gesichtstypen einen aussuchen – als wäre ihr Gesicht das einzige Hindernis auf dem Weg zum Traumleben. Die Fotografin sammelt ihre eigenen „Gesichtsdiagnosen“ und macht Bilder in Praxen für kosmetische Chirurgie. Yufan Lu zeigt Porträts der Menschen vor den Operationen, die sie auf fachspezifischen Webseiten findet, und operiert mit einem Messer verschiedene Muster in diese Bilder hinein. Danach fügt sie jeder Aufnahme eine Aussage hinzu, die von einem Menschen nach einer Kosmetik-OP stammt. Manche ihrer Fotos erinnern an Totenmasken, die auf Verlorenes verweisen. Aber sie bieten mehr: Hoffnung, Abschied und ein gewisses Geheimnis.

  • China
  • Künstlichkeit
  • Oberfläche
  • Optimierung
  • Schönheit
3 Fragen
1. Der Türöffner: Kannst du einen prägenden Moment in deiner Karriere als Bildjournalistin beschreiben?

Ich glaube, ich hatte keinen entscheidenden, prägenden Moment. Mein Sehen war immer geprägt durch Selbstbefragung. Außerdem muss ich mich ständig verbessern durch Lesen, Lernen und die fortwährende Praxis meines Berufs als Fotografin. Mit anderen Worten, meine Karriere ist voll von prägenden Momenten. Aber im Hinblick auf Arbeitsmethoden und das Fotografiestudium an sich profitiere ich sehr von meiner Ausbildung im Studiengang „Photography and Urban Cultures“ am Goldsmiths College. Diese Erfahrung ist für mich ein Ausgangspunkt.

2. Der entscheidende Moment: Wann ist dir dein Thema das erste Mal begegnet und wieso hast du dich dazu entschieden, es fotografisch zu bearbeiten?

Bevor ich das Projekt begann, hatte ich die Idee, Schönheitschirurg*innen zu bitten, Diagnosen auf meinem Selbstporträt vorzunehmen. Ich bin seit meiner Jugend unsicher in meinem Auftreten. Ich kenne natürlich die sozialen Mechanismen hinter dieser Unsicherheit, aber diesen Mechanismus habe ich so verinnerlicht, dass ich mich einfach nicht von der Scham über den eigenen Körper losmachen kann. Ich glaube, Millionen Menschen, die sich für eine Schönheitsoperation entscheiden, kämpfen diesen Kampf. Als mein Selbstporträt von Menschen übermalt wurde, die Macht über das Aussehen besitzen, war das zunächst ein Experiment, um zu sehen, wie gleich oder unterschiedlich das eigene Gesicht beurteilt wird, und es war letztendlich eine visuelle Therapie für mich selbst.

3. Die Zukunft: Wie kann der visuelle Journalismus der Zukunft aussehen?

Ich denke, der gegenwärtige Bildjournalismus zeigt weniger traditionelle, eher konzeptuelle Ansätze. Ich schätze die Freiheit und Genauigkeit vieler talentierter Fotograf*innen, die alle möglichen Bildsprachen nutzen, um wichtige Geschichten zu erzählen und ihre eigenen Ideen zum Ausdruck zu bringen, sodass ihre Arbeit zugänglicher wird. Im Hinblick auf den zukünftigen Bildjournalismus freue ich mich auf eine innovativere Praxis, die mit den visuellen „Normen“ brechen könnte, die heute von Medien und Fotograf*innen konstruiert werden, und die dennoch weiterhin bei den Menschen in einer zunehmend gespaltenen Welt Resonanz findet.

»Es ist als würde ich mein soziales Selbst aus meinem Körper extrahieren. In diesem Sinne ist meine Intention, das Projekt als Therapie oder Experiment zu nutzen, aufgegangen.«

Yufan Lu 
Some more questions...
Where does the pressure to undergo cosmetic surgery come from?

There’s internalized pressure to become beautiful in a socially recognized way the face is considered to be the image of the self, and I think doing cosmetic surgery is like making oneself a social mask, a way to “fix” one’s identity. There’s also practical pressures, for example I read in the news that a woman who signed a contract with an Internet celebrity company was required to do cosmetic surgeries before she could actually appear in front of the camera. What surprised me is that the woman just accepted the terms like that. Traditionally Chinese people believe that every hair and bit of skin is received from our parents, and one must not injure or wound the body, but now people would undergo cosmetic surgeries not only to reconstruct themselves, but also out of economic reasons.

The work is a personal project. Has your opinion on cosmetic surgery changed?

I think it changed unconsciously. Like a lot of people who would go through cosmetic surgery, I used to look into the mirror focusing on the “deficiencies” of my face. At a point I realized that I’m not that obsessed any more. It doesn’t mean the project is some magic surgical knife that makes me confident about my look all of a sudden. It’s only that I know these “deficiencies” are stubbornly coded by our society and internalised into my own perceptions it’s like extracting my social self out of my body. In this sense my intention to use the project as a therapy or experiment worked.

Verschiedene Werkzeuge um ein Gesicht auszumessen. © Yufan Lu.

What beauty ideals are cosmetic surgeries based on? Are they Western beauty ideals or rather Chinese ones?

My work shows mainly Chinese beauty ideals, or Asian beauty ideals. For example, Chinese cosmetic surgeons like to suggest double eyelid (and they specifically standardized the eyelid width: 4-6mm is natural style, 8-10mm is “European style”) and whitening injection (I read in a book that people prefer white skin because in traditional agricultural society white skin meant that you are wealthy and that you don’t have to work in the sun). There are also influences from South Korea’s beauty standards, not only because of the introduction of South Korean pop culture but also because many cosmetic surgeons in China are drawing experience from South Korea. There are also economic reasons, like the Internet celebrity fever in China.

Do you think that beauty apps and social media like Instagram, TikTok and others have increased the trend for cosmetic surgery?

I think so. I think they strengthen social stereotypes regarding what “beautiful” is. Especially since technology has become so advanced that people can apply beauty filters during live broadcasting gradually it becomes unacceptable to show one’s face without the filters. In this way cosmetic surgery is like adding a real-life filter to one’s face. I think it’s an example of how people are affected by their visual representation.

Was there a special moment during your work that is important to you?

I think a special moment was when I felt like I had divided myself into two by using my own face to do the project: one is a desperate cosmetic surgery patient who tries to look for a cure, the other observes from the outside like it’s someone else’s issue.

© Yufan Lu.

Your work seems to be a long-term project, how does it continue now?

I began working on the project in 2018 and I have just ended the shooting process. My next plan is to make a photobook from the project. I designed and made a dummy by myself, but it sort of got stuck at this stage I’m trying to look for opportunities to cooperate with book designers or publishers.

Beitrag zusammengestellt von Moritz Lehmann

© für alle Fotos die Fotografinnen und Fotografen
© für alle Videos Lumix Festival Hannover, wenn nicht anders angegeben.

*1991 in Peking, China
Yufan Lu schloss ihr Studium 2017 mit dem M.A. Photography and Urban Cultures an der Goldsmiths, University of London, ab. Ihre Arbeit behandelt das Urbane, insbesondere urbane Identitäten und die Beziehungen von Menschen zu Orten sowie die Erkundung ihrer Befindlichkeiten.

www.luyufanphotography.com
@lufaway

Weitere Fotoserien