N E W S L E T T E R

[IMAGE MATTERS]
at Lumix Festival

Die Plattform „New Perspectives on Documentary Practices“ reflektiert die sich wandelnden Positionen und Strategien im Fotojournalismus in der heutigen Welt. Insbesondere untersucht sie aktuelle Tendenzen im visuellen Storytelling und bietet vielschichtige Einblicke in neue dokumentarische Strategien“.

Gast-Kuratorin: Iris Sikking

Welche Potenziale birgt ein innovativer Fotojournalismus für eine Medienlandschaft im Umbruch?  

Mit welchen Erwartungen und Bedingungen sehen sich professionelle Fotojournalist*innen konfrontiert?

Welches sind mögliche narrative Ansätze, um eine Geschichte durch Bilder zu erzählen?

Iris Sikking Einführung

Um diesen Fragen nachzugehen habe ich 12 Projekte von 13 Fotografen ausgewählt, die besondere Herangehensweisen an ihr Thema und ihre Themen verwenden und sich durch ihre Bildsprache und Präsentationsformate auszeichnen. Deswegen habe ich vier Strategien unterschieden, bei denen wir aber auch Überschneidungen finden können: die investigative Strategie, die aktivistische Strategie, die partizipative Strategie und die digitale Strategie.
Mithilfe dieser vier Strategien hoffe ich, einen nützlichen Einblick in den Umgang dieser Fotograf*innen mit der Produktion, der Konzeption und der Verbreitung ihrer Inhalte zu geben. Ich meine, dass all diese Strategien in den weiten Bereich der Dokumentarfotografie fallen; die ausgewählten Künstler*innen hinterfragen jedoch durch den Einsatz einer bestimmten Strategie den dokumentarischen Begriff von Wahrhaftigkeit, der in diesem Bereich unerbittlich eingraviert zu sein scheint. Die meisten Künstler*innen sind gelernte Fotojournalist*innen, sind aber während ihrer Laufbahn immer wieder auf die Unzulänglichkeiten der Praxis gestoßen.

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Investigative Strategie

Die erste Strategie, die ich die investigative Strategie genannt habe, basiert auf einer gründlichen Untersuchung eines bestimmten Themas. Sie umfasst Fotograf*innen mit einem fotojournalistischen Hintergrund, die intensiv nach Fakten suchen und kritische Erzählungen über die Komplexität unserer heutigen Gesellschaft formulieren. Dabei zeigen sie eine tiefe Sorge um die Bedürfnisse der Menschen, die versuchen, ihren Platz in der globalen Gesellschaft zu verstehen – wie die „Pallaqueras“ in Peru, die goldhaltiges Erz vorsortieren, fotografiert von Lisa Barnard für das Projekt „The Canary and the Hammer“.

»Durch eine Mischung aus Bildern, Texten und Archivmaterial bietet Lisa Barnard einen Einblick in die bewegte Geschichte des Goldes und die komplexen Wege, auf denen es die Weltwirtschaft kreuzt.«

Michał Łuczak Extraction

»Die Kohleindustrie hat die schlesische Landschaft dramatisch verändert und ihre natürliche Umgebung beeinträchtigt. ”Extraction” zeigt die Folgen der industriellen Kohleförderung.«

Aktivistische Strategie

Als zweite Strategie folgt der aktivistische Ansatz. Diese Strategie umfasst Fotograf*innen, die nicht zögern, sich in das Zentrum des Sturms zu begeben, indem sie einen festen politischen Standpunkt einnehmen. Die junge französische Künstlerin Laura Ben Hayoun nutzt beispielsweise das Medium Fotografie, um ihre Familienmitglieder dazu zu bewegen, über ihr Herkunftsland Algerien zu sprechen.

»Hayouns Arbeit ist ein visueller Kampf, der uns zwingt, in eine Geschichte zurückzukehren, die zu ihrer Familiengeschichte wurde. Ein Kampf zwischen einem Mädchen und ihrem Vater, der Missverständnisse und Tabus hinterfragt. «

»Der Himmel von Ani oder Diyarbakir, die Wolken über Adana oder Yüksekova sind alle gleich, aber alle könnten vom Verschwinden sprechen. Das Verschwinden von Städten, Nachbarschaften und Gemeinschaften, von Frauen und Männern, von Orten der Erinnerung und der Kulturen.«

Ahmet Insel

»Durch die ehrenamtliche Tätigkeit für die EEVFAM – eine Organisation, die von den Witwen der Verstorbenen gegründet wurde – habe ich Einblicke gewonnen und Beweise für die derzeitige Situation gesammelt.«

Rohit Saha
Rohit Saha 1528
Partizipatorische Strategie

Die Strategie eine*r Aktivist*in nähert sich der dritten, der partizipatorischen Strategie. Sie wird von Künstler*innen übernommen, die über ihre unmittelbare Umgebung oder persönliche Geschichte arbeiten, indem sie ein Teil des täglichen Lebens ihrer Protagonisten sind oder werden. Für solch ein Projekt benutzen sie oft performative Aktivitäten, wie Felipe Romero Beltrán, der in dem Projekt „Reducción“ Fotos in enger Zusammenarbeit mit illegalen Immigrant*innen und Polizist*innen in den Straßen seines Wohnortes Madrid inszeniert.

Felipe Romero Beltrán Reduccion

»Der rechtliche Status von Migrant*innen bestimmt, ob sie regelmäßig alle Straßen der Stadt durchqueren können. Der Alltag der Migrant*innen wird beeinträchtigt, wenn sie keine Ausweispapiere oder keinen gültigen Wohnsitz im Land haben.«

»„How like a leaf I am“ untersucht die Verstrickungen von menschlichem und pflanzlichem Leben und unsere kollektive Verantwortung für den rapiden Verfall von Ökosystemen. Das Projekt unterstreicht die Notwendigkeit (neu) zu lernen, wie man die nicht menschliche Umwelt liest und mit ihr lebt.«

Alexandra Baumgartner How like a leaf I am

»„Are They Rocks or Clouds“ entwirft das Szenario einer hypothetischen Umweltkatastrophe, indem es Recherche- und Archivmaterial, Texte und Caneves Fotos mischt.«

»Das Projekt zeigt die Liebeserklärung einer Studentin aus Kiew an ihren ausländischen Geliebten und ihr Heimatland Ukraine. Es ist das Potenzial des subjektiven dokumentarischen Ansatzes, das Verständnis unserer sozialen Welt und unsere Wahrnehmung von Handlungsmöglichkeiten zu beeinflussen.«

Amak Mahmoodian Zanjir

»Als universelle Meditation über Verlust und Trennung greift „Zanjir“ auf Bilder aus den Golestan-Archiven in Teheran, Texte und Fotos von Mahmoodian sowie Auszüge aus Taj Saltanehs Memoiren zurück.«

Digital Strategy

Obwohl es nicht per se eine eigenständige Strategie ist, würde ich gerne einen Fokus auf Fotograf*innen richten, die mit digitalen Strategien operieren, um eine Arbeit anzufertigen, oder Teile einer Arbeit, weil sie ein Foto nicht länger nur als greifbares Objekt betrachten, sondern als Teil einer größeren Palette verknüpfter Medien (vgl. Fred Ritchin 2011). Meistens arbeiten sie mit Footage aus dem digitalen Bereich, erzeugen Computerbilder und nutzen das Internet als Plattform, um das Projekt selbst zu präsentieren. Das ist der Fall bei dem Multimedia-Projekt „Poppy: Trails of Afghan Heroin“ von Robert Knoth und Antoinette de Jong, das 2012 als Ausstellung und Buch konzipiert und 2018 durch Bilder und Videoclips aus dem Internet zu einer interaktiven Website erweitert wurde.

»Knoth und de Jong zeigen Ströme von Bildern und Handlungssträngen, mal evokativ oder metaphorisch; wechseln sie sich mit deskriptiveren Elementen ab.«

Robert Knoth & Antoinette de Jong Poppy: Trails of Afghan Heroin

»Jeden Tag werden Zeitungsredakteure mit Tausenden Bildern eines einzigen Ereignisses überflutet, von denen einzelne Bilder zu ikonischem Status gelangen, während andere in Vergessenheit geraten. Mithilfe von Bilderkennungssoftware recherchiert Vogelaar nach zugrundeliegende Mustern.«