N E W S L E T T E R

Ashfika Rahman
Files of the Disappeared

Mehr als 4.000 junge Menschen wurden in Bangladesch in den vergangenen Jahren willkürlich von der Polizei festgenommen und in Gewahrsam gefoltert. Wer überhaupt wieder freigelassen wurde, war zum Schweigen gezwungen. Ashfika Rahman zeigt die Orte, an denen nach „Zusammenstößen“ mit der Polizei die Leichen sogenannter Krimineller gefunden wurden. Sie porträtiert auch junge Menschen, denen Unrecht geschehen ist. Ihre Gesichter anonymisiert sie durch goldene Stickereien, die zu einem Symbol für die Stille in Gewahrsam und in der Zeit danach werden. Der 26-jährige Alif – auch sein Name ist geändert – war Arbeiter in Dubai. Er wird bei einem Heimatbesuch festgenommen. Warum, weiß er bis heute nicht. In der Haft wird er physisch und psychisch gefoltert. Die seelischen Wunden sind nicht sofort sichtbar, sie kommen erst viel später zum Vorschein. Die Fotografin will das Leid der Protagonist*innen zeigen, und sie will mit diesem Projekt eine Bewegung initiieren, die der Angstpolitik des Staates entgegentritt.

  • Bangladesch
  • Gefängnis
  • Gewalt
  • Jugend
  • Repression
3 Fragen
1. Der Türöffner: Kannst du einen prägenden Moment in deiner Karriere als Bildjournalistin beschreiben?

Seitdem ich mit der Fotografie begonnen habe, befinde ich mich auf einer Reise zu meiner eigenen Stimme. Mit den Jahren hat meine Reise verschiedene Richtungen genommen. Aber ich habe meine Stimme in der Fotografie gefunden, als ich entdeckte, dass meine Mutter, eine Sozialaktivistin, versuchte, ihrem Glauben zu folgen, indem sie soziale Arbeit leistete. Ich begann, über Randgruppen in Bangladesch zu arbeiten, besonders über die Gewalt gegen Minderheiten, Stammes- oder ethnische Gruppen in entlegenen Gebirgen oder in einem Dorf in den Grenzregionen von Bangladesch. In jeder meiner Arbeiten versuche ich, den üblichen Blick auf diese Probleme zu hinterfragen.

2. Der entscheidende Moment: Wann ist dir dein Thema das erste Mal begegnet und wieso hast du dich dazu entschieden, es fotografisch zu bearbeiten?

Shuvo (Pseudonym), ein 18-jähriger Junge, arbeitete mit mir zusammen in den entlegenen Regionen als Assistent. Wir haben viel Zeit zusammen verbracht. Er war ein schüchterner Junge, der seiner Familie mit Gelegenheitsjobs half. Keine besonderen Jobs, um genau zu sein. Als ich das nächste Mal dort war, erfuhr ich, dass er nach einem Gefecht mit der Polizei gestorben war. Ich war schockiert! Erschüttert!

So wie ich den schüchternen Jungen in den letzten Jahren kennengelernt hatte, ist schwer vorstellbar, dass irgendeine Art von Verbrechen ihn dahin getrieben haben mag. Ich begann, tiefer zu bohren. Ich ging davon aus, dass es wieder passieren würde. Es geht immer noch weiter und wird zu einer politischen Kultur. Mehr als 4.000 Menschen wurden letztes Jahr willkürlich aufgegriffen. Sie wurden gefoltert und manchmal in sogenannten „encounters“ getötet. (Anmerkung: Der Begriff „encounter“ bezeichnet die Tötung von Menschen in einem Zusammentreffen mit der Polizei.) Eine Praxis der Einschüchterung. Ich dachte, ich könnte durch ein Fotoprojekt diese Kette aufbrechen. Ich arbeite mit einem psychologischen Berater zusammen, um den Menschen eine Beratung zu ermöglichen. Diejenigen, die lebend zurückkommen, durchleben ein schlimmes Trauma mentaler und psychischer Folter. Sie haben ihre Ängste als Teil des Heilungsprozesses auf ihr eigenes Porträt geschrieben. Dieses Fotoprojekt ist eine Initiative, um Fotografie zu einem Teil einer sozialen Bewegung zu machen.

3. Die Zukunft: Wie kann der visuelle Journalismus der Zukunft aussehen?

Ich glaube, wir leben in einer visuellen Zeit. Der einfache Zugang zu sozialen Medien und anderen öffentlichen Plattformen macht es so viel leichter, der Öffentlichkeit Visuelles zur Verfügung zu stellen. Diese Methode des Storytellings ermöglicht es den Rezipient*innen, komplexe, anspruchsvolle Themen in kürzerer Zeit besser zu verstehen. Es ist Aufgabe der Storyteller*innen, ihre Informationen zu nutzen, um bessere Geschichten zu erzählen, die nützlich, interessant und für ein breites Publikum verwertbar sind.

Einerseits sieht es so aus, dass die Zeit des individuellen Journalismus abgelaufen ist, andererseits können Bildjournalist*innen ihn voranbringen. Bildjournalist*innen werden nicht nur Geschichten produzieren, sondern auch die Verantwortung übernehmen, zu recherchieren und Lösungen aufzuzeigen. Das wird nicht individuell geschehen, sondern in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft. Es ist das Visuelle, das die Zukunft philosophisch, ideell und politisch leiten wird.

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Die Fotografin Ashfika Rahman spricht über ihr Projekt Files of the Disappeared und neue Herangehensweisen in der Dokumentarfotografie. Dhaka, Bangladesch, Mai 2020. © Ashfika Rahman

Beitrag zusammengestellt von Emilie Herbst

© für alle Fotos die Fotografinnen und Fotografen
© für alle Videos Lumix Festival Hannover, wenn nicht anders angegeben.

*1988 in Dhaka, Bangladesch
Ashfika Rahman versucht in ihren dokumentarfotografischen und künstlerischen Arbeiten über komplexe soziale Themen gesellschaftliche Machtbeziehungen greifbar zu machen. Sie studierte Fotojournalismus und Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover sowie am Pathshala South Asian Media Institute, wo sie aktuell einen Lehrauftrag hat. 2018 war sie Teilnehmerin der Joop Swart Masterclass.

www.ashfikarahman.com
@ashfikarahman47

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