N E W S L E T T E R

Patricia Kühfuss
Nicht müde werden

Irgendwann im Leben nimmt jeder von uns den Dienst der Gesundheitsund Krankenpflege in Anspruch. Der Beruf ist von großem Wert für die Gesellschaft – die Arbeitsbedingungen in Deutschland werden dem jedoch noch nicht gerecht: Finanzielle Vorgaben bestimmen den Arbeitsalltag, die Pflegekräfte müssen in immer kürzerer Zeit immer mehr Patient*innen betreuen. In einem System, in dem jeder Handgriff mit Geld bemessen wird, bleibt außer Acht, dass gute Pflege Fachwissen und vor allem Zeit braucht. Die Krankenpflege ist ein hochkomplexer Beruf, der technische, medizinische und menschliche Kompetenz erfordert. Es ist schwer, diese Arbeit visuell darzustellen, da Pflege die Intimsphäre der Menschen berührt und sich die Frage stellt, wo die Grenzen des Zeigbaren sind. Daher ist in den Medien der Beruf oft auf das Symbolbild einer bettenschiebenden Pflegekraft reduziert, und die Leistung der Pflegearbeit bleibt unsichtbar. Patricia Kühfuß‘ Fotografien lenken den Blick auf die Menschen, die sich an den Grenzen ihrer Belastbarkeit um andere kümmern, und zeigt den realen Alltag der Pflegekräfte in deutschen Krankenhäusern.

Für die Präsentation des digitalen Lumix-Festivals 2020 haben die Kuratierenden Jonas Dengler und Kai Nolda mit der Fotografin Patricia Kühfuss die Gesundheits- und Krankenpflegerinnen Thorid G., Jennifer G. und Anna W. zu den Bildern der Fotoarbeit befragt. Ausschnitte aus diesem Gespräch hören Sie über die Audiospuren unter den Bildern.

  • Alltag
  • Arbeit
  • Deutschland
  • Zukunft

»Ich glaube, dass das Thema Pflege für viele so unbekannt ist und auch, dass so wenig reale Bilder entstehen, ist einfach, weil es ein Tabuthema ist. Viele möchten sich gar nicht damit beschäftigen.«

Thorid G., Gesundheits- und Krankenpflegerin
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Die Fotografin Patricia Kühfuss spricht über ihre Arbeit „Nicht müde werden“, den Pflegenotstand in Deutschland und über Stereotype der Pflege.

3 Fragen
1. Der Türöffner: Kannst du einen prägenden Moment in deiner Karriere als Bildjournalistin beschreiben?

Eine banale, aber wichtige Erkenntnis hatte ich, als ich an meiner Geschichte über das Olivenbaumsterben in Italien gearbeitet habe: wochenlange Recherche, aber nicht das Gefühl, wirklich vorbereitet zu sein. Es gab tausend Gründe, nicht zu fliegen, ich habe es dann trotzdem getan. Vor Ort haben sich dann so viele Türen geöffnet und mir wurde klar: Wege entstehen beim Gehen. Das hat sich auch bei der Krankenpflege bestätigt. Kontrolle ist ein Mythos, es wird anders, als man es sich vorgestellt hat. Aber man kann sich bewusst entscheiden, einfach los- und immer weiterzugehen.

2. Der entscheidende Moment: Wann ist dir dein Thema das erste Mal begegnet und wieso hast du dich dazu entschieden, es fotografisch zu bearbeiten?

Ich habe seit Beginn des Studiums mit mehreren Krankenpfleger*innen zusammengewohnt, sie haben viel erzählt. Ich habe mich früh gefragt, wieso die Arbeitssituation so schlecht ist, wo es doch auf der Hand liegt, wie wichtig die Pflege ist, um gesund zu werden. Ich war auch verwundert, wie wenig ich wusste und warum es kaum Bildgeschichten zu diesem Missstand gibt. Es wurde mir immer gesagt, wie schwierig es sei, Zugang zu bekommen. Ausschlaggebend war, dass ich für meinen Bachelor ein Thema fotografieren wollte, das mir wirklich am Herzen liegt. Da bin ich wieder einfach losgegangen, und die Türen gingen auf.

3. Die Zukunft: Wie kann der visuelle Journalismus der Zukunft aussehen?

In den vielen innovativen Bildprojekten, die heute schon entstehen, liegt ein unglaubliches Potenzial, Geschichten zu erzählen. Um sie breit zugänglich zu machen, ist es wichtig, das immer noch dominierende Schema in den Redaktionen aufzubrechen: Zuerst kommt der Text, der dann „bebildert“ wird. Bild und Text sollten gleichberechtigt sein, beide haben Vor- und Nachteile, wenn es darum geht, Informationen weiterzugeben. Eine Textredakteurin oder ein Textredakteur braucht Bildkompetenz und umgekehrt, um mögliche Erzählformen zu erkennen, die unglaublich spannend sein können. Die Allgegenwart der Bilder hat nicht nur negative Folgen, ich glaube, dass Leser*innen mehr Zugang zu Bildern und den Umständen ihrer Entstehung haben. Man kann Bildkompetenz zum Thema machen, Fragen aufwerfen, auf die wir alle noch keine Antwort haben.

Wie könnte man den Beruf der Gesundheits- und Krankenpflegefachkraft attraktiver gestalten?

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Fabian B., Gesundheits- und Krankenpfleger auf der IMC (Intermedia Care Station), am Morgen nach seiner Nachtschicht. Im August 2020 werden die Tarifverträge der kommunalen Krankenhäuser neu verhandelt. Dies wäre die Gelegenheit, die Gehälter der Pflegefachkräfte zu verbessern.

Beitrag zusammengestellt von Jonas Dengler und Kai Ivo Nolda

© für alle Fotos die Fotografinnen und Fotografen
© für alle Videos Lumix Festival Hannover, wenn nicht anders angegeben.

*1988 Oberndorf am Neckar, Deutschland
Patricia Kühfuss studierte bis 2018 Fotojournalismus und Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover und der Danish School of Media and Journalism in Aarhus. Seitdem arbeitet sie als freie Fotografin. Sie wird vertreten durch die Agentur laif. Sie erhielt das VG Bild-Kunst Stipendium 2019 und einen zweiten Platz beim Sony World Photo Award 2018. Ihre Arbeiten wurden in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in GEO, National Geographic US und ZEIT Magazin veröffentlicht.

www.patriciakuehfuss.com
@patriciakuehfuss

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