Ich hatte eigentlich nie auf dem Schirm, Fotograf zu werden. Ich habe Architektur bis zum Master studiert, weil ich dachte, das sei mein Weg. Mein Leben nahm jedoch einen anderen Verlauf, als ich 2011 anfing, für ein Architekturmagazin zu schreiben. Ich liebte es sofort, Geschichten zu erzählen und zu sehen, welche Wirkungen sie haben können. Drei Jahre später erfuhr ich durch einen Freund vom Storytelling-Potenzial der Fotografie. Ich begann mit einer Reihe persönlicher Projekte. Kurz darauf erhielt ich 2016 meinen ersten Auftrag. Fotografie ist für mich jedoch in erster Linie etwas Persönliches und nichts Berufliches. Ich nutze dieses Medium häufig, um mich selbst und die Welt um mich herum zu verstehen oder um eine Geschichte zu teilen, die mir wichtig erscheint. Daher habe ich mich entschieden, mit dem Projekt „Banu“ das Leben meiner besten Freundin, die sich nicht unterkriegen lässt, zu dokumentieren.
Ich habe Banu 2014 in einem Workshop für journalistisches Schreiben kennengelernt. Sie war eine sehr kluge, inspirierende und mutige junge Aktivistin. Einige Monate nach unserer ersten Begegnung erzählte sie, dass sie einige Zeit vor dem Workshop von einem Freund vergewaltigt[1] worden sei. Ich wollte sie gerne unterstützen, als ihr Leben durch eine posttraumatische Belastungsstörung beeinträchtigt wurde. Sie verlor langsam ihr Selbstvertrauen und wurde sehr verletzlich. Dieser Zwischenfall hatte sie für immer verändert.
Als ich vier Jahre später die Einladung erhielt, an einer Fotoausstellung über Frauen teilzunehmen, entschied ich mich, ein Projekt über ihr Leben zu machen. Durch die Zeit, die ich mit Banu verbrachte, erkannte ich, dass unsere Gesellschaft immer noch ein sehr begrenztes Verständnis von Geschlechtern und mentalen Problemen hat und wie eine Vergewaltigung lebenslang nachwirken kann. Häufig musste Banu an ihrem Arbeitsplatz, unter Freund*innen und auch unter fremden Leuten mit diesem Stigma fertigwerden. Mit ihrem Aktivismus hatte sie versucht, selbst für eine bessere Situation zu kämpfen. Ich hoffe, dass mein Fotoprojekt ihren Kampf unterstützt und ihr hilft, das zu erreichen.
Die zweijährige Arbeit an diesem Projekt hat meine Art, Fotografie zu betrachten, definitiv geprägt. Ich begreife ihre Limitierungen, aber auch ihre Stärke. In diesem Projekt können meine Bilder die metaphorischen, emotionalen und poetischen Aspekte von Banus persönlicher Situation zeigen, aber niemals Banus wirkliche Verfassung aufdecken. Deswegen entschied ich mich, für eine Ausstellung in der Galerija Jakopic in Slowenien mit ihr zusammenzuarbeiten und ihre Texte, ihre Krankheitsgeschichte und sogar ihre Abschlussarbeit (der Titel lautet „Selbstmord aus der Perspektive von Jean-Paul Sartre“) einzubeziehen und so einen umfassenderen Blick auf ihre Geschichte zu bieten. Ich lernte auch, dass Engagement äußerst wichtig ist. Meine intensive Einbindung und unser gemeinsamer Prozess haben sichergestellt, dass ich als Fotograf nicht nur etwas aus ihrem Leben genommen, sondern im Gegenzug auch etwas gegeben habe. Ich weiß, dass dieses Projekt nicht nur ein Versuch ist, ein Bewusstsein zu schaffen, sondern ein Grund für Banu, weiterzukämpfen, damit es ihr wieder besser geht. Um dieses Projekt zu realisieren, muss Banu, genauso wie ich auch, verstehen, warum die Fotografie für sie wichtig ist. Ich fühle mich verpflichtet, ihren Blick zu weiten, genauso wie alles auf eine sensible Art zu zeigen und eine Verantwortung für das zu übernehmen, was ich der Welt zeigen werde. Allerdings lässt mich die aktuelle Situation erkennen, dass wir wirklich einen besseren Weg finden müssen, die Menschen für unsere Arbeit zu interessieren. Das geht über die konventionelle Form einer physischen Fotoausstellung hinaus. Die Menschheit wird eindeutig mehr von virtuellen Verbindungen abhängen; in dieser virtuellen Welt werden jedoch täglich Millionen Bilder produziert. Wodurch hebt sich unsere Geschichte also von den anderen ab? Welche Erfahrungen können wir dem Publikum bieten, damit es sich in unsere Arbeit vertieft? Gibt es neue Möglichkeiten der Darstellung, über die wir nachdenken sollten? Etwas, das ich mir bereits vorstellen kann, sind eine Kombination von Fotografie mit anderen Disziplinen (Informationstechnologie, Neurowissenschaften etc.) und eine weitere Erprobung digitaler Medien, um dem Publikum zu helfen, sich in der digitalen Welt auf etwas Konkretes zu konzentrieren und für eine Weile von der Außenwelt abzukoppeln. Das ist für den Anfang eine einfache Idee – lasst uns gemeinsam herausfinden, wie sie funktioniert.
[1] Banu verwendet lieber das Wort „vergewaltigt“ statt „sexuell angegriffen“, damit die Leser*innen die Situation eindeutiger verstehen.